Kommt das digitale Papier?

Christian Clauss

Ab wann lesen wir unsere tägliche Zeitung digital? Wie wird das geschehen? Wie weit ist die Forschung? Existieren bereits funktionierende Lösungen? Dieses kurze Paper soll hierzu einige Antworten anreißen.

Einleitung

Unsere Welt wird digital! Telefone, Organizer, Kühlschränke, Computer, Autos - alles wurde vom Fahrtwasser des digitalen Umschwungs der letzten Jahre mitgerissen. Digita-les durchdringt fast jeden Bereich unseres Lebens und ist aus dem Alltag nicht mehr weg-zudenken.

Das klassischste Medium, das Papier in seiner bisherigen Form, wird dabei sicherlich auch einige Veränderungen miterleben. Wird es auf lange Sicht durch digitales Papier verdrängt? Ist unsere Gesellschaft überhaupt bereit, sich auf solch etwas Neues umzustel-len? Wird digitales Papier dem Universitäts- und Forschungsdasein entspringen können?

Digital lesen

Prüft man das Wissen von zufällig ausgewählten Versuchspersonen über digitales Pa-pier, so kann man feststellen, daß sich viele dazu nichts Konkretes vorstellen können: Ei-nige eher skeptisch veranlagte Artgenossen sind der Meinung, daß digitales Papier neue, unhandbare technische Geräte voraussetzt, andere technisch Versierte sind uneinge-schränkt begeistert und freuen sich jetzt schon auf die Einführung erster serienreifer Mo-delle.

Worum handelt es sich nun überhaupt bei digitalem Papier? Der Heise Verlag definiert flexibles elektronisches Papier als ein Display, dessen Pixel von einer Aktiv-Matrix-Elektronik aus organischem Material angesteuert werden. Die Displayschicht besteht aus durchsichtigen, mit Farbstoff gefüllten Hohlkügelchen. In der Farbstoffflüssigkeit schwim-men positiv geladene weiße Pigmente, die sich im elektrischen Feld je nach Feldrichtung an die Ober- oder Unterseite der Kügelchen bewegen und so ein beständiges weißes oder dunkles Pixel erzeugen [1]. Siemens zeigte auf der diesjährigen CeBIT ein elektronisches Papier, das biegsam und weniger als einen halben Millimeter dick ist, und nach oben ge-nannter Definition funktioniert. Auf dem rund zehn Mal zehn Zentimeter großen Display ist die Oberfläche eines Organizers mit E-Mail- und Kalenderfunktion fest installiert. Abwech-selnd erscheinen eine Nachricht und ein Eintrag im täglichen Zeitplan in blauer Schrift auf hellem Grund. Das Display steckt seitlich in einem zigarrenförmigen Stift, der die Steue-rungselektronik und die Stromversorgung beherbergt. Von den Entwicklern wurde auch eine größere Version gezeigt: Auf einer DIN-A4- Folie erscheinen nacheinander das Bild einer Zeitung, Kinoprogramme und Anzeigen, und die Folie läßt sich dabei beliebig bewe-gen [2].

Applikationen für Messen existieren also bereits. Doch welchen Anforderungen muß digitales Papier gewachsen sein, um im Massenmarkt sinnvoll einsetzbar zu sein? Un-handliche Apparaturen hat man nicht zu erwarten, wie ein Artikel der BBC zeigt, der digita-les Papier von 0,3 Millimeter Dicke präsentiert [3]. Pierre Wiltzius, Direktor von ‚condensed matter research’ bei Lucent Technologies sieht die große Herausforderung nicht darin, erneute Ressourcen in die Forschung zu stecken. Die heute verfügbaren Technologien reichen gut dazu aus, vernünftige Produkte zu bauen. Den Knackpunkt sieht er vielmehr darin, Herstellungsprozesse zuverlässiger und billiger zu machen, um so den Wen in den Massenmarkt zu ebnen! Die erste Ausführung des digitalen Papiers wird mit ziemlicher Sicherheit erst einmal enttäuschen: Sie wird nicht viele Pixel haben, vielleicht einige hun-dert, die auf einen flexiblen Plastikträger montiert sind. Sobald dies gebaut werden kann, ist die Pixelerhöhung (und somit die Anzahl der Transistoren) dann ein einfach zu lösen-des Problem [4].

Am Special Research Centre für Particle and Material Interfaces an der University of South Australia wird seit längerem an neuen Techniken geforscht, die indirekt auch mit digitalem Papier zu tun haben. Die Forscher können neue chemische Substanzen Molekül für Molekül designen. Sie bauen gerade an Glasoberflächen, die bei Stromdurchfuhr selbstreinigend wirken, also Schmutz abweisen. Diese Technologie könnte für digitales Papier verwendet werden: Nach anlegen einer Spannung verschwindet die aufgetragene Information und das Papier ist wieder neu beschreibbar. Man geht jedoch davon aus, daß bis zur Serienreife noch bis zu 20 Jahre vergehen könnten [5].

Einen völlig anderen Ansatz verfolgte die Firma XEROX. Sie entwickelte ein Produkt namens ‚DataGlyphs’ und vermarktete es als ‚digitales Papier’. Die Datenglyphen sind ei-ne konsequente Weiterentwicklung des klassischen Barcodes. Ganze Bilder können mit-tels dieser Glyphen dargestellt werden, und dabei zusätzlich ca. 1 Kilobyte an Daten pro Quadtrat-Inch mitgespeichert werden. Dies kann dann wie beim Barcode automatisiert ausgelesen werden. Durchsetzen konnte sich DaraGlyphs jedoch nie [6].

Das vielversprechendste Produkt, das mittlerweile schon serienreife ist, entstammt der Schmiede der Fa. E.Ink. Das Unternehmen preist ‚Digitale Inc’ als ein elektronisches Pa-pier an, das dem klassischen in Punkto Schärfe und Helligkeit in nichts nachsteht. Es wird ein minimaler energetischer Aufwand benötigt, um die anzuzeigende Information auf das Papier zu setzen. Einmal ‚beschrieben’ wird keine weitere Energie benötigt, den Text auf dem Papier zu halten. Digital Inc ist ausgesprochen leicht, extrem dünn und kann an so ziemlich alles angepaßt oder aufgetragen werden. Tassen oder Hochhäuser, der Werbe-prospekt kennt hier keine Grenzen! Neben dem soll der große Hauptvorteil darin beste-hen, daß das Produkt extrem flexibel ist und analog zu einer Zeitung ohne Einschränkun-gen geknickt werden kann [7].

Paul Drzaic, Direktor von Display Technologies bei E.Ink meint, daß die Herstellungs-kosten genau dann sinken werden, wenn Quantitäten wie beim klassischen Buchdruck erreicht werden können. Digital Inc kann wie zuvor beschrieben ‚aufgedruckt’ werden, was im Endeffekt dem klassischen Buchdruck entspricht. Drzaic merkt an, daß das digitale Pa-pier sicherlich noch einige Jahre benötigen wird, bevor wir Inhalte dafür im Buchladen kau-fen können. Allerdings geht er nicht von bis zu 20 Jahren aus, er rechnet mit vernünftigen Lösungen in den kommenden fünf Jahren [4].

Ausblick

An der Digitalisierung des Papiers wird also mit Hochdruck gearbeitet. Einige vielver-sprechende Ansätze sind jetzt schon vorhanden oder erkennbar, und Ergebnisse der For-schung können jetzt schon für neue Anwendungen verwendet werden, die jedoch nur in die Richtung von digitalem Papier gehen. So setzt die amerikanische Warenhauskette JC Penny erste großflächige und wieder beschreibbare E.Ink Displays in ihren Schaufenstern ein, um Werbung großflächig zu präsentieren und schnell verändern und anpassen zu können.

Den Erwartungen der breiten Massen wird digitales Papier in naher Zukunft wahr-scheinlich noch nicht gerecht werden können. Erst wenn Materialbeschaffenheiten und Usability den Eigenschaften dem herkömmlichen Papier näher kommen, wird der Einzug in die Gesellschaft funktionieren können, und alteingesessenen Medien wie der Zeitung oder Büchern neue technische Grundlagen geben können. Und das Papier an sich, das klassische Medium, das seit ca. 3000 Jahren existiert, wird, wie bei jeder Einführung neuer Medien, sicherlich niemals völlig aus dem alltäglichen Leben verschwinden werden.

(1010 Wörter)


14.12.2003 - Christian Clauss
Vorlesung Mensch Maschine Interaktion - Albrecht Schmidt
Institut für Informatik - LFE Medieninformatik - Öttingenstr. 67 - D- 80538 München

Quellenverzeichnis