Dem gegenüber stehen die absteigenden Prozesse ("top down"). Darunter
versteht man die in einer speziellen Situation vorherrschende Erwartung, die
bereits durch die ersten gelesenen Sätze bestätigt oder modifiziert wird. "Den
Fortgang der Lektüre begleitet dann ein fortwährender Auf- und Umbau eines
Erwartungsrahmens, der das Verstehen mitprägt...das heißt Einflüsse aus dem
Bereich der Interpretation auf denjenigen der Wort- bzw. Begriffserkennung und
der Strukturerkennung bzw. -erarbeitung."
(vgl.http://www.kontrastivlinguistik.de/Linguistik/Teilgebiete/Psycholinguistik/hauptteil_psycholinguistik.html)
Doch
um einen Text zu verstehen muss dieser erst einmal lesbar sein.
Xc50 steht für die Note eines Schülers im Lesen, der von dem gelesenen Text
die Hälfte der Fragen beantworten kann. X1 ist Dale’s Liste der 3000 am
häufigsten verwendeten Wörter, X2 ist die durchschnittliche Satzlänge.
Die
"Dale-Chall Formel" sei hier nur als Beispiel erwähnt. Versuche exaktere Formeln
aufzustellen gibt es sehr viele. Allein Klare stellte 1963 31 dieser Formeln und
Varianten vor.
Man kann erahnen, dass diese Art von Formeln nicht immer die
gewünschte Genauigkeit bringt. Es werden mehrere Probleme aufgezählt:
1. Die Zuverlässigkeit (Reliability)
2.
Die Richtigkeit (Validität) - Vergleich der Formeln untereinander
3. Umsetzung von der englischen in die deutsche Sprache
schwierig
4. nur objektive quantifizierbare Textmerkmale -
subjektive Stilaspekte vernachlässigt
"Die Lesbarkeitsforschung ist also beschränkt auf den formal-stilistischen
Aspekt der sprachlichen Oberflächenstruktur von Informationstexten" (Groeben
1982, 184).Ebendieser Norbert Groeben behauptet, dass die Lesbarkeitsforschung
schon längst zu ihrem Ende gekommen sei.
Doch erfordert nicht die weltweite
Digitalisierung eine erneute Betrachtung der Lesbarkeit wenn es um das Lesen
digitaler Texte geht?
Für die Darbietung visueller Sprachinformation am Bildschirm (gleichgültig,
ob im Internet oder offline im folgenden einfach Online Text genannt; vgl. http://www.devmag.net/archiv/infoletter_15_02.htm)
gelten einige zusätzliche Bedingungen im Gegensatz zum Lesen auf Papier.
Dazu
zählen die Bildschirmqualität, die Raumbeleuchtung und die Körperhaltung.
Aufgrund dieser Faktoren kann man davon ausgehen, dass das Lesen am Monitor
anstrengender ist, als herkömmliches "Papierlesen". Ausserdem überwiegt die
Meinung bei den Forschern, dass Lesen am Bildschirm bis zu 40% langsamer
vonstatten geht.
Grundsätzlich gilt das gleiche wie für Texte im Internet:
Jacob Nielsen (von der New York Times als "Guru of Web Page Usability"
betitelt) beantwortet die Frage, wie Menschen im Internet lesen ganz einfach wie
folgt: Sie tun es gar nicht. Sie würden eine Seite eher "scannen" als diese Wort
für Wort durchlesen.
Das zumindest ergab seine Studie Concise, SCANNABLE,
and Objective: How to Write for the Web in der 79 Prozent der Probanden
jeden neuen Webtext scannten, während nur 16 Prozent wirklich jedes Wort im Text
lasen. Nielsen zieht daraus seine Schlüsse für die Gestaltung von Webseiten,
insbesondere der Erfordernis von "scannbarem" Text. Die Wirkung von
Textdarstellung auf die Nutzbarkeit der Seite wurde durch fünf Messungen wie
folgt festgelegt:
1. Die Zeit die ein Nutzer für die Beantwortung einer
textspezifischen Frage brauchte (in Sekunden)
2. Fehler auf
beantwortbare Frage wurden prozentual mit eingerechnet
3.
Die Erinnerungsfähigkeit anhand 5 Multiple-Choice Questions einerseits und
Aufzählung aus dem Gedächtnis andererseits
4. Die Zeit die
ein Nutzer brauchte um eine sitemap zu malen. (zeigt das Verständnis der
Informationsarchitektur)
5. Subjektives Empfinden anhand
einer 10 Punkte Skala
Anhand der Ergebnisse dieser Messungen präsentiert Nielsen die prozentuale
Verbesserung der Lesbarkeit, wenn folgende Veränderungen des Textes vorgenommen
wurden: Zum einen erreichte eine Verkürzung des Textes (etwa um die Hälfte) eine
Verbesserung von 58%. Desweiteren lieferte ein "scannbares" Layout eine 47
prozentige, eine objektive, neutrale Sprache anstatt Fachwörtern eine 27
prozentige Verbesserung.
Wurden diese drei Veränderungen zusammen angewandt,
zeigte sich eine Verbesserung von 124 Prozent.
Mit einer Verbesserung der
Nutzbarkeit von über dem doppeltem erscheint die Notwendigkeit der
Berücksichtigung von Nielsens aufgestellten Regeln klar, denn die "..Besucher
bringen keine Zeit mit, um langatmige Beschreibungen und umständliche
Erklärungen zu studieren. Der Gebührenzähler tickt, der Schreibtischstuhl ist
nicht der bequemste und das Lesen am Bildschirm ist anstrengend" (vgl.http://www.webtexte-und-design.de/text.htm).
Er suche nach Informationen, nicht nach Unterhaltung und von 2978 Treffern der
Suchmaschine kann ausserdem nicht auf jedes Ergebnis eingegangen werden.
"Eyetracking-Studien belegen zudem, dass die meisten User zuerst auf den Text
schauen" (vgl. http://www.webwriting.ch/schreib/screenles.html)
und erst danach auf die Bilder, was die Wichtigkeit von korrekter Texterstellung
im Web nochmal verdeutlicht.
Nochmal in aller Kürze die Designregeln für
Online Text: Der Text als solches wird viel zu oft unterschätzt, obwohl er das
Medium ist, welche die Botschaft übermittelt. Die wichtigste Aussage sollte im
Gegensatz zu Print als erstes stehen. Das Scanverhalten des Users wird
unterstützt, indem man sich kurz fasst, gut gliederte Absätze liefert, sich
verständlich ausdrückt, Listen erstellt und die Sätze nicht über Zeilen hinweg
dehnt.
Textverständnis - Textverständlichkeit Norbert Groeben 1982